Erholung setzt sich fort - Risiken bleiben groß : Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2010
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: ifo Institut für Wirtschaftsforschung ...
Am 15. April 2010 stellte die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose in Berlin ihr Frühjahrsgutachten der Presse vor. Ihrer Ansicht nach erholt sich die Weltwirtschaft, und die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 wird allmählich überwunden. Allerdings ist das Tempo der Expansion in den einzelnen Weltregionen sehr unterschiedlich. In einigen Schwellenländern, vor allem in Asien, ist es ausgesprochen hoch, und vereinzelt besteht sogar die Gefahr einer konjunkturellen Überhitzung. Dagegen ist in den Industrieländern die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten weiterhin gering. Hier hat sich die Erholung noch nicht gefestigt, sondern wird nach wie vor maßgeblich von der expansiven Wirtschaftspolitik getragen.Die konjunkturelle Dynamik in den Industrieländern wird in diesem und im nächsten Jahr voraussichtlich gering sein. Bei der verhaltenen wirtschaftlichen Expansion wird sich die Lage am Arbeitsmarkt nur sehr allmählich bessern. In den USA bleibt die Konjunktur in der Grundtendenz im Prognosezeitraum zwar aufwärtsgerichtet, doch wird sich die wirtschaftliche Expansion nach der kräftigen Ausweitung im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres zunächst spürbar verlangsamen. Der Euroraum wird wohl auch in diesem und im nächsten Jahr ein konjunktureller Nachzügler sein; einige Länder, in denen die desolate Lage der öffentlichen Finanzen die Regierungen zu einem scharfen Konsolidierungskurs zwingt, werden sogar in der Rezession verharren. Recht kräftig bleibt hingegen voraussichtlich die wirtschaftliche Expansion in den Schwellenländern. Alles in allem wird die Weltproduktion 2010 um 2,9% und 2011 um 2,7% zunehmen. Der Welthandel wird im Verlauf dieses Jahres und im nächsten Jahr mit einer Rate von voraussichtlich 61/2% in etwa so rasch steigen wie im längerfristigen Mittel. Das Preisklima dürfte bei alledem ausgesprochen ruhig bleiben, wenngleich die Inflationsraten infolge der gestiegenen Ölpreise 2010 etwas höher ausfallen werden als im vergangenen Jahr.In Deutschland ist die wirtschaftliche Erholung im Winterhalbjahr 2009/2010 vorübergehend ins Stocken geraten. Allerdings kommen darin vorwiegend temporäre Faktoren zum Ausdruck. In der Grundtendenz dürfte die Konjunktur nach dem tiefen Einbruch infolge der Finanzkrise weiterhin aufwärtsgerichtet sein. Die Auftragseingänge sind zu Jahresbeginn kräftig gestiegen, und die Ausfuhren erholen sich weiter. Auch blicken die Unternehmen zuversichtlich in die Zukunft. Die wieder günstigere Stimmung lässt sich zudem daran ablesen, dass die Unternehmen ungeachtet der zuletzt schwächeren Produktion den Personalbestand sogar bereits wieder leicht ausweiten.Von der Wirtschaftspolitik dürften im Prognosezeitraum gegenläufige Wirkungen auf die Konjunktur ausgehen. Die EZB wird nach Einschätzung der Institute ihre expansive Zinspolitik beibehalten und wird sich vorerst darauf beschränken, die außergewöhnlichen Maßnahmen zur Liquiditätsversorgung zurückzunehmen. Die Finanzpolitik hingegen gibt zwar in diesem Jahr der Konjunktur noch spürbare Anregungen. Da die Stimulierungsprogramme aber auslaufen und erste Schritte zur Konsolidierung des Staatshaushalts zu erwarten sind, wirkt sie ab dem kommenden Jahr dämpfend.Vor diesem Hintergrund erwarten die Institute, dass sich die Belebung der Konjunktur zwar fortsetzt, dass sie aber moderat verlaufen wird. Getrieben wird die Erholung weiterhin von den Exporten, die in der Rezession unerwartet stark eingebrochen waren. Sie profitieren von der lebhaften Expansion insbesondere in den Schwellenländern. Aber auch die Inlandsnachfrage belebt sich. So dürften die privaten Konsumausgaben bei wieder steigenden real verfügbaren Einkommen moderat ausgeweitet werden, und die Ausrüstungsinvestitionen fassen langsam wieder Tritt. Alles in allem dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahresverlauf wie auch im Jahresdurchschnitt 2010 um 1,5% steigen. Im kommenden Jahr wird die Inlandsnachfrage weiter verhalten expandieren. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird im Jahresdurchschnitt 2011 voraussichtlich um 1,4% zunehmen.Der Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der Rezession als erstaunlich robust erwiesen. Diese unerwartet günstige Entwicklung resultiert vor allem aus zwei Effekten: Erstens horten die Unternehmen, begünstigt durch die Förderung der Kurzarbeit und die flexiblere Gestaltung vieler Tarifverträge, in beträchtlichem Maße Arbeitskräfte. Zweitens profitiert der Arbeitsmarkt in der Grundtendenz immer noch von der Lohnmoderation in den vergangenen Jahren. Die Erwerbstätigkeit dürfte in diesem Jahr noch leicht sinken. Die Arbeitslosigkeit wird gleichwohl geringfügig abnehmen, da das Erwerbspersonenpotential aufgrund der demographischen Entwicklung zurückgeht. Für 2011 ist mit einer Stagnation der Erwerbstätigkeit und mit einer weiteren Abnahme der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die Arbeitslosenquote dürfte von 8,1% im Jahr 2010 auf 7,9% im Jahr 2011 sinken. Die Verbraucherpreise werden nur moderat steigen, die Inflationsrate wird in diesem Jahr 0,9% und im kommenden Jahr 1,0% betragen.Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich weiter verschlechtern. Die Defizitquote dürfte 2010 auf 4,9% steigen. Im kommenden Jahr ist mit einem Rückgang der Quote auf 4,2% zu rechnen, insbesondere weil die Konjunkturprogramme auslaufen und erste Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergriffen werden dürften.Die Risiken für die Konjunktur bleiben groß. Diese resultieren zum Teil aus dem weltwirtschaftlichen Umfeld. Zudem ist die Lage im Bankensektor nach wie vor schwierig, auch wenn die Kreditrestriktionen zuletzt nicht weiter verschärft wurden. Jedoch können an den Finanzmärkten immer wieder Probleme auftreten, z.B. wenn aufgrund der hohen Defizite Zweifel an der Solvenz mancher Staaten aufkommen.Infolge der Wirtschaftskrise haben sich auch die mittelfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft verschlechtert, das Bruttoinlandsprodukt wird in den kommenden Jahren spürbar niedriger sein, als vor der Krise erwartet wurde. Erstens ist das Produktionspotential in Deutschland wohl niedriger als zuvor geschätzt, zweitens dürfte sich die Produktion dem Trend nur langsam annähern. Die Institute erwarten, dass das Produktionspotential im Zeitraum 2009 bis 2014 um 1% pro Jahr zunimmt. Die wirtschaftliche Erholung in Deutschland dürfte sich nach 2011 leicht beschleunigt fortsetzen. Gleichwohl wird das reale Bruttoinlandsprodukt nach dem scharfen Einbruch im vergangenen Jahr erst 2013 das Niveau aus dem Jahr 2008 erreichen. Am Ende des Projektionszeitraums wird dann die Lücke zwischen der laufenden Produktion und dem Produktionspotential geschlossen.Die Finanzpolitik in Deutschland sollte im Jahr 2011 auf einen Konsolidierungskurs einschwenken. Voraussichtlich wird sich die konjunkturelle Lage dann so weit gefestigt haben, dass die Erholung durch einen Sparkurs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt würde, das einen Rückfall in eine Rezession bedeuten könnte. Kritisch ist zu sehen, dass die Bundesregierung trotz der Vorgaben und der eigenen Ankündigungen nicht erklärt hat, wie sie die Haushaltskonsolidierung gestalten will. Entsprechende Pläne will sie erst im Juni dieses Jahres vorlegen.Die Institute haben - damit die Konsolidierung das Wachstum und die Beschäftigung möglichst wenig beeinträchtigt - wiederholt empfohlen, eine "qualitative" Konsolidierung zu betreiben, d.h. den Anstieg der Staatsausgaben eng zu begrenzen und sie dabei zugunsten der Aufwendungen für Investitionen in Humankapital und Sachkapital umzuschichten. Der Sparkurs ist also auf die so genannten konsumtiven Ausgaben und die Finanzhilfen zu konzentrieren. Daneben sollten Steuervergünstigungen abgebaut werden.
Year of publication: |
2010
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Institutions: | Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung (contributor) ; Konjunkturforschungsstelle <Zürich> (contributor) ; Institut für Weltwirtschaft (contributor) ; Institut für Wirtschaftsforschung Halle (contributor) ; Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (contributor) ; Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (contributor) ; Institut für Höhere Studien (contributor) |
Published in: |
Ifo-Schnelldienst. - München : Ifo-Inst. für Wirtschaftsforschung, ISSN 0018-974X, ZDB-ID 218518-0. - Vol. 63.2010, 8 (26.4.), p. 3-78
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Subject: | Konjunktur | Business cycle | Frühindikator | Leading indicator | Deutschland | Germany | 2008-2011 |
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